Trotz der tagtäglichen Schreckensmeldungen aus Afghanistan sollten gestern in einer gemeinsamen Sammelabschiebung Menschen aus Österreich und Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden. Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Abschiebung eines Afghanen durch die österreichischen Behörden am Vormittag per einstweiliger Verfügung gestoppt hatte, sagte Österreich die Beteiligung an der Abschiebung ab. Die Bundesregierung hielt zunächst weiter an ihren Plänen fest. Erst in letzter Minute wurde der Abschiebeflieger von München noch gestoppt. Eine offizielle Begründung der Bundesregierung liegt bisher nicht vor.
Der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz und der Flüchtlingsrat RLP e.V. sind schockiert, dass die Bundesregierung trotz der Entscheidung des höchsten europäischen Menschenrechtsgerichts zunächst weiterhin bereit war, Menschen trotz der Eskalation der Gewalt in Afghanistan in akute Lebensgefahr zu verbringen.
Der EGMR bezieht sich zur Begründung seiner Eilentscheidung explizit auf die Sicherheitslage in Afghanistan. Zwar kann der EGMR nur über Individualbeschwerden entscheiden, das heißt die Entscheidung ist zunächst nur für den konkreten Einzelfall verbindlich. Das Besondere an dieser Entscheidung ist aber, dass es sehr allgemein um die aktuellen Entwicklungen der Sicherheitssituation und nicht um besondere Umstände des Einzelfalls geht. Die Entscheidung ist damit auch für künftige Abschiebungen aus Deutschland maßgeblich.
Der Gerichtshof verweist in seiner Begründung insbesondere auf die Bitte des afghanischen Ministeriums für Flüchtlinge und Rückführungen (MoRR) an alle europäischen Regierungen, Abschiebungen vor dem Hintergrund der Gewalteskalation und der Auswirkungen der dritten Welle der Corona-Pandemie zunächst auszusetzen. Finnland, Schweden und Norwegen haben daraufhin Abschiebungen nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt. Auch hierauf nimmt der EGMR Bezug.
Die Bundesregierung muss endlich die Konsequenzen aus der massiven Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan ziehen und einen rechtlich verbindlichen Abschiebestopp erlassen. Abschiebungen nach Afghanistan sind – wie nun auch vom EGMR bestätigt – nicht mit dem menschenrechtlichen Verbot der unmenschlichen Behandlung vereinbar.
Wenn der Bund nicht umgehend tätig wird, muss das Land handeln! Die zwei Organisationen fordern die Landesregierung daher nochmals auf, endlich in eigener Zuständigkeit einen Abschiebestopp nach § 60a Absatz 1 Aufenthaltsgesetz zu erlassen.