AK Asyl – Flüchtlingsrat RLP e.V. – Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP
Gemeinsame Erklärung zum Tag der Menschenrechte 2018
Insgesamt 1.197 ausreisepflichtige Personen sind in den ersten neun Monates dieses Jahres aus Rheinland-Pfalz abgeschoben worden. Schon jetzt zeichnet sich somit ab, dass die Zahl der Abschiebungen aus Rheinland-Pfalz im vierten Jahr in Folge ansteigen wird. Nach Angaben der Bundesregierung belegt Rheinland-Pfalz im „Abschiebe-Ländervergleich“ (Verhältnis von Abschiebungen zur Aufnahmequote eines Bundeslandes) mittlerweile den absoluten Spitzenplatz. In keinem anderen Bundesland wird die Ausreisepflicht demnach häufiger mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt als in Rheinland-Pfalz.
Zugleich sind von Januar bis September 2018 insgesamt nur 1.026 ausreisepflichtige Personen „freiwillig“ aus Rheinland-Pfalz ausgereist. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Zahl der „freiwilligen Ausreisen“ im vierten Jahr in Folge zurückgehen wird. Anders als bei den Abschiebungen belegt Rheinland-Pfalz im Ländervergleich für das 1. Halbjahr 2018 beim Verhältnis von geförderten „freiwilligen Ausreisen“ zu seiner Aufnahmequote lediglich einen Platz im breiten Mittelfeld.
Die Zahlen machen deutlich, wie groß die Kluft zwischen dem Anspruch der Landesregierung auf eine humanitäre Flüchtlingspolitik und der Wirklichkeit in Rheinland-Pfalz mittlerweile ist. Der von den Regierungsparteien noch 2016 in ihrem Koalitionsvertrag festgeschriebene Vorrang der „freiwilligen Ausreise“ vor der Abschiebung spielt in der Vollzugspraxis offenbar keine Rolle mehr.
In den letzten Wochen müssen wir immer wieder feststellen, dass von zuständigen Behörden in Rheinland-Pfalz bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht vielfach rote Linien überschritten werden, die uns der Anstand, die Humanität und die Menschenrechte vorgeben:
• Die Kreisverwaltung Mainz-Bingen versuchte in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 2018 eine dreiköpfige iranische Familie nach Kroatien zu überstellen. Polizeibeamte holten die schwangere Frau aus der Universitätsklinik in Mainz ab, in der sie sich wegen einer Typ 1Diabetes-Erkrankung stationär in Behandlung befand. Nachdem der Abschiebeversuch gescheitert war, wurde die junge Frau am frühen Morgen alleine mit ihrem einjährigen Kind am Hauptbahnhof in Hannover zurückgelassen. Die Rückreise konnte sie nur dank der freiwilligen finanziellen Unterstützung von Bahnmitarbeitenden bewältigen.
• Im Rhein-Hunsrück-Kreis verschafften sich Polizeikräfte am 9. November 2018 morgens um vier Uhr Zutritt zur Unterkunft, in der eine ausreisepflichtige fünfköpfige Familie aus Armenien untergebracht war. Ohne vorherige Ankündigung brachen sie gewaltsam die Zimmertüren in der Unterkunft auf, während die Familie mit ihren drei kleinen Kindern noch schlief – das jüngste Kind ist gerade sieben Monate alt. Der Familienvater war erst am Vortag aus einer Psychiatrischen Klinik entlassen worden, in der er wegen akuter Suizidalität in Behandlung war.
• Im Anschluss an den erfolglosen Versuch der Abschiebung einer tschetschenischen Familie im Westerwaldkreis wurden bei ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleitern, die die Familie vor Ort betreuten, und bei einem Mitglied der rheinland-pfälzischen Härtefallkommission wegen des Verdachts der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die Familie hatte ihre Unterkunft verlassen, nachdem sie von den Unterstützer/innen erfahren hatte, dass ihr Härtefallantrag aus rechtlichen Gründen unzulässig ist, weil ihre Abschiebung bereits terminiert war.
• Der Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises hat Anfang September Strafanzeigen gegen fünf Pfarrer/innen gestellt, deren Kirchengemeinden Asylsuchenden Schutz vor der Abschiebung nach Italien und der dort drohenden Obdachlosigkeit gewährt hatten. Er begründete seine Strafanzeigen damit, dass Kirchengemeinden durch die Gewährung von Kirchenasyl „den Rechtsstaat sabotieren“ würden und „Moral nicht über das Gesetz“ gestellt werden dürfte.
Am 2. Oktober 2018 wurde ein ausreisepflichtiger afghanischer Staatsangehöriger aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis abgeschoben, ohne dass er zuvor wegen einer Straftat verurteilt worden war. Ein laufendes Gerichtsverfahren war wegen der geplanten Abschiebung ohne Urteil eingestellt worden. Das rheinland-pfälzische Integrationsministerium hatte der Abschiebung zugestimmt, obwohl die in Rheinland-Pfalz geltende Erlasslage wegen der andauernden Gewaltsituation in Afghanistan festschreibt, dass nur verurteilte Straftäter und sogenannte „Gefährder“ dorthin abgeschoben werden dürfen. Mit der „Abschiebungs-Zustimmung“ des Integrationsministeriums wurde das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung übergangen.
Am 70. Jahrestag der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte nehmen wir mit großer Sorge zur Kenntnis, dass in Rheinland-Pfalz zur Durchsetzung der Ausreisepflicht
• die Kriminalisierung von Ehrenamtlichen und Pfarrer/innen, die sich für Flüchtlinge engagieren;
• die Missachtung und Entweihung von Schutzräumen wie Krankenhäuser und Kirchen;
• die Einschränkung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien (Unverletzlichkeit der Wohnung, Unschuldsvermutung)
billigend in Kauf genommen werden.
Am Tag der Menschenrechte fordern wir deshalb alle Verantwortlichen in den Kommunen und in der Landesregierung dazu auf, in Rheinland-Pfalz zu einer humanitären Flüchtlingspolitik zurückzukehren.