„Wenn du nicht sofort herkommst, wirst du deine Mutter nicht mehr sehen.“

– Pressemitteilung zur Abschiebung der Familie H.

01. Juli 2025, 6 Uhr morgens: Die Polizei dringt in das Haus von Familie H. in Landau ein. Mutter Leyla[2] wird von der Polizei mitgenommen. Ihr Sohn Ceyhun ist unterwegs. Als er seine Mutter anruft, nimmt ihr eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde das Telefon aus der Hand und sagt ihm: „Wenn du nicht sofort herkommst, wirst du deine Mutter nicht mehr sehen.“ Daraufhin ruft er seinen älteren Bruder Rustam an, dieser fährt zur Wohnung und beobachtet das Vorgehen. Ceyhun befindet sich weiter weg, bei einem Freund. Er macht sich auf dem Weg und fährt zur Polizeistation in Landau, wo seine Mutter sich aufhält. Dort wird er von der Polizei festgehalten und direkt zum Flughafen gebracht und abgeschoben. Seine Mutter hat er nicht mehr gesehen.

Die Familie beschrieb dem Flüchtlingsrat RLP was dann geschah:

„Mama wurde das Telefon abgenommen, wir konnten sie nicht mehr erreichen. Mama erzählte, dass sie zum ersten Mal bei der Polizei in einem kleinen Raum war – ohne Fenster, ohne Wasser, nur mit einer Toilette aus Stein. Sie fühlte sich dort sehr schlecht. Sie bekam Nasenbluten und drückte mehrmals die Klingel, aber niemand kam. Sie hatte zweimal starkes Nasenbluten. Erst später kam ein Polizist und sah, dass überall Blut war – auf dem Gesicht und auf der Hand. Das Blut war bereits getrocknet. Der Polizist warf ihr nur ein paar Papiertücher zu, damit sie sich reinigen konnte. Es gab kein Wasser, und die Toilette war offen einsehbar.

Als die Beamten schließlich bemerkten, dass es Mama sehr schlecht ging, legten sie sie auf den kalten Steinboden und setzten ihr eine Sauerstoffmaske auf. Mama meinte jedoch, dass aus der Maske gar kein Sauerstoff kam – sie habe nichts gespürt. Stattdessen bekam sie mehrfach kleine weiße Tabletten, von denen sie sehr müde wurde und schlecht träumte. Ein Arzt war zwar vor Ort, aber er gab ihr ebenfalls nur eine Tablette. Sonst passierte nichts – außer, dass ihr ständig Tabletten gegeben wurden.

Später fand eine Gerichtsverhandlung in Speyer statt. Sie sagten, dass Mama ins Gefängnis müsse. Mama meinte, dass sie deshalb irgendwo weit weggebracht wurde – nach Darmstadt. Sie befindet sich nun dort.

Was wir sehr traurig finden: Deutschland ist ein demokratisches Land. Aber auch hier können Frauen solche schlimmen Erfahrungen machen – so wie Mama sie gemacht hat. Wenn sich jemand so schlecht fühlt, wie sie es getan hat, dann muss man medizinische Hilfe leisten und die Person zu einem Arzt bringen. Stattdessen hat man ihr einfach irgendwelche Tabletten gegeben – vielleicht Antidepressiva – nur um sie ruhigzustellen und einschlafen zu lassen.

In einem demokratischen Land wie Deutschland so etwas zu erleben, finden wir sehr erschreckend und enttäuschend.“

Leyla befindet sich derzeit in der Abschiebehaft in Darmstadt. Sie ist traumatisiert durch die vielen Veränderungen, Erfahrungen und Schicksalsschläge, die sie in der Vergangenheit erleben musste.

Rustam, sichtlich schockiert sagt: „Bis heute fühle ich mich meiner Mutter gegenüber wie ein kleines Kind. Leider wurde unsere Familie an nur einem Tag auseinandergerissen – das war für uns alle ein schwerer Schlag. Mein Vater ist nicht bei uns, und als ältester Sohn war ich nicht in der Lage, meine Familie zu beschützen. Das schmerzt sehr.“

Zeitgleich zur Festnahme der Mutter Leyla wurde Ceyhun allein nach Aserbaidschan abgeschoben, in ein Land, dass er kaum kennt, in dem er keine Kontakte hat, in dem er nie lang heimisch war, in dem seine Familie bedroht wird. Sein Vater in der Ukraine, seine Mutter und sein Bruder in Deutschland, traumatische Erfahrungen einer zweimaligen Flucht und der Aufgabe aller Gewissheiten und Kontakte im Gepäck ist der junge Mann nun allein in einem fremden Land.

Wieder einmal, steht das vermeintliche Interesse der Ausweisung in keinem Verhältnis zu dem Schmerz der dadurch verursacht wird.

Der Flüchtlingsrat RLP verurteilt die Abschiebung als retraumatisierend und inhuman. Wir fordern ein Aufenthaltsrecht auch für Drittstaatler*innen ohne unbefristetes ukrainisches Aufenthaltsrecht, wir fordern im Sinne der Menschlichkeit eine Chance für jeden, in Sicherheit zu leben und ankommen zu dürfen und wir fordern, dass die Mutter von Rustam und Ceyhun hierbleiben darf. Eine Familie bleibt auch dann eine Familie, wenn die Kinder erwachsen sind.

Hintergrund:

Familie H., Mutter, Vater und zwei Jungen sind vor 15 Jahren aus Aserbaidschan geflohen. Dort wurde die Familie politisch verfolgt, repressiert und bedroht. Die Jungen Rustam, der Ältere und Ceyhun, der Jüngere waren damals 14 und 9 Jahre alt.

In der Ukraine hat die Familie eine neue Heimat gefunden. In der Nähe der Stadt Charkiw haben sie sich eine Existenz aufgebaut, sind dort zur Schule und zur Universität gegangen, haben Freunde gefunden und ihr Leben gelebt, bis der Krieg kam. Nach Ankunft in der Ukraine hatte die Familie einen Antrag auf Asyl gestellt, der bis zu Kriegsbeginn nicht entschieden wurde.

In Charkiw hat die Familie traumatisierende Erfahrungen gemacht und sich 2022 schweren Herzens zu dritt auf den Fluchtweg nach Deutschland begeben. Der Vater blieb.

Drei Jahre lebte die Familie in Landau, lernte Deutsch, arbeitete, versuchte Erlebtes zu verarbeiten und sich psychisch wieder zu stabilisieren.

Als Staatsangehörige anderer Drittstaaten als der Ukraine ohne unbefristetes ukrainisches Aufenthaltsrecht, erhalten sie seit dem 4. März keinen Schutz mehr in Deutschland. Die Arbeitserlaubnis wurde ihnen entzogen.


[1] Kommentar der zuständigen Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde, als sie mit dem abgenommenen Telefon den während des Zugriff abwesenden Sohn anruft.

[2] Die Namen sind Pseudonyme. Aus Angst vor weiteren Repressionen in Aserbaidschan werden die echten Namen nicht genannt.