Vizepräses Pistorius: Kirchenasyl ist ultima ratio und dient dem Rechtsstaat

EVANGELISCHE KIRCHE IM RHEINLAND
PRESSEMITTEILUNG Nr. 110/2017
18. Mai 2017

 

Vizepräses Pistorius: Kirchenasyl ist
ultima ratio und dient dem Rechtsstaat

Besuch in Büchenbeuren / Somalier von Abschiebung bedroht

Büchenbeuren. Bei einem Besuch in der Evangelischen Kirchengemeinde Büchenbeuren hat Vizepräses Christoph Pistorius die humanitäre Bedeutung von Kirchenasyl unterstrichen: „Die Gewährung eines Kirchenasyls ist für uns ultima ratio und geschieht in den Gemeinden nach reiflicher Überlegung, wenn Gefahr für Leib und Leben oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.“ In der Gemeinde traf der Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland am Nachmittag Pfarrerin Sandra Menzel und Sabriye Muhudin Mohamud. Der junge Somalier ist dort seit Februar im Kirchenasyl und akut davon bedroht, nach Italien überstellt zu werden.

„Am Beispiel von Herrn Mohamud wird exemplarisch klar, dass das Kirchenasyl nicht gegen den Rechtsstaat gerichtet ist, sondern ihm vielmehr dient. Es zielt auf ein Moratorium ab, wenn menschenrechtliche Bedenken vorliegen. Kirchenasyl gibt noch einmal eine neue Gelegenheit und Chance einer Prüfung, um so gegebenenfalls den Rechtsstaat davor zu bewahren, in einem Grenzfall Unrecht zu tun und seine eigenen Prinzipien zu verletzen“, sagte Pistorius. Sabriye Muhudin Mohamud, der mit 14 Jahren vor den Al-Shabaad-Milizen aus seinem Heimatland über Libyen nach Italien geflohen ist, ist nach eigenen Angaben gerade erst 17 Jahre alt geworden. Demnach dürfte er nach dem Dublin-Abkommen als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling nicht nach Italien zurück gebracht werden, obwohl er dort seinen ersten Asylantrag in der Europäischen Union gestellt hat. Überdies bedeutet eine Abschiebung nach Italien nach Einschätzung von Experten eine besondere Härte, da die Aufnahmebedingungen schlecht sind und viele Flüchtlinge staatlicherseits unversorgt in Obdachlosigkeit leben.

Der junge Mann aus Somalia besitzt allerdings keine Papiere, so dass das Jugendamt Kassel sein Geburtsdatum auf den 1. Januar 1998 festgelegt hat. Demnach wäre er volljährig und könnte abgeschoben werden. Wie das Jugendamt zu der Einschätzung des Alters kommt, geht aus den Akten allerdings nicht hervor. Dies ist im Verfahren eine wichtige offene Frage. Mit der Aufnahme ins Kirchenasyl begann das sogenannte Dossierverfahren, bei dem das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) um eine erneute Überprüfung gebeten wurde. Der Kirchengemeinde wurde von der Behörde eine Woche Zeit gegeben, um die Geburtsurkunde in Somalia zu besorgen. Im laufenden Verfahren kündigte die zuständige Ausländerbehörde des Rhein-Hunsrück-Kreises die Abschiebung des Somaliers für heute Morgen an. Das BAMF hat unterdessen das Dossierverfahren aus seiner Sicht für abgeschlossen erklärt.

Gestern nun stoppte das rheinland-pfälzische Integrationsministerium die Abschiebung und wies den Rhein-Hunsrück-Kreis an, die geplante Überstellung des jungen Mannes aus dem Kirchenasyl in Büchenbeuren abzusagen. Die Weisung wurde vom Ministerium mit einem kurzfristig von Innenminister und Integrationsministerin für Montag geplanten Krisentreffen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Kirchen zum Thema Kirchenasyl begründet: Dem Ergebnis dieser Gespräche solle durch eine Eskalation in laufenden Kirchenasylfällen nicht vorgegriffen werden, hieß es. Bereits in der vergangenen Woche hatte es in Ludwigshafen einen Polizeieinsatz gegen ein Kirchenasyl gegeben.

Bei seinem Besuch in Büchenbeuren widersprach Vizepräses Christoph Pistorius denjenigen, die den Kirchen vorwerfen, mit dem Kirchenasyl einen rechtsfreien Raum zu beanspruchen. Der mit dem Kirchenasyl verbundene zivile Ungehorsam bringe Grund- und Menschenrecht gegen eine nachgeordnete Rechtsregel zur Geltung. „Dies findet gerade innerhalb des geltenden Grundgesetzes und damit auf dem Boden der Verfassung statt“, stellte Pistorius klar und ergänzte: „Wie kirchliches Handeln auch, so ist auch der Rechtsstaat nicht unfehlbar, sondern durchaus auf eine ,ethische Unruhe’ der Grundrechte angewiesen.“ Ähnlich hatte er sich schon am Morgen in seiner Predigt im ökumenischen Gottesdienst anlässlich der Feiern zu 70 Jahren Landesverfassung Rheinland-Pfalz geäußert (vgl. Pressemitteilung Nr. 109/2017 von gestern).

Pressemitteilung – Kirchenasyl: Spiegel und Lewentz laden alle Beteiligten zum Gespräch ein

Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz
 
und
 
Mnisterium des Innern und für Sport
 
PRESSEMITTEILUNG
Integrationsministerin Anne Spiegel und Innenminister Roger Lewentz haben Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und der Kommunalen Spitzenverbände zu einem Gespräch zum Thema „Umgang mit Kirchenasyl“ eingeladen. Anlass war die jüngste von der zuständigen Ausländerbehörde angeordnete Durchsuchung in Kirchenräumen in Ludwigshafen. So wurde das Kirchenasyl einer ägyptischen Familie beendet und diese nach am selben Tag abgeschoben.
„In den vergangenen Jahren haben alle Beteiligten in Rheinland-Pfalz einen sensiblen Umgang mit den betroffenen Menschen gepflegt. Zehn Jahre lang wurde kein Kirchenasyl geräumt. Die Räumung eines Kirchenasyls anzuordnen, bedeutet eine Grenze zu überschreiten. Ich appelliere an alle Beteiligten, weitere Eskalationen zu vermeiden. Zwangsweise Rückführungen aus Kirchenräumen sind inakzeptabel“, erklärt Integrationsministerin Anne Spiegel. „Nachdem nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen in Rheinland-Pfalz die zuständige Ausländerbehörde eine Durchsuchung von Kirchenräumen veranlasst hat, sehe ich hier dringenden Gesprächsbedarf, damit es nicht zu weiteren Eingriffen in das Kirchenasyl kommt.“
Innenminister Roger Lewentz: „Ich erachte eine erneute Verständigung zwischen den kommunalen Spitzen, den Kirchen und dem Land für dringend notwendig. Es schadet dem Vertrauen in den Staat, wenn einzelne Behörden und staatliche Ebenen mit ihren Entscheidungen einen bestehenden Konsens faktisch in Frage stellen.“
Die Kirchen haben für Notlagen das Kirchenasyl geschaffen, in das sie Menschen für eine gewisse Zeit aufnehmen, um aus ihrer Sicht nicht hinnehmbare humanitäre Härten zu vermeiden und eine nochmalige Überprüfung der Entscheidung über das Aufenthaltsrecht zu erreichen.