Der Flüchtlingsrat RLP hat sich vor fünf Jahren in einem Verein neu gegründet, ist aber aus einer dreißigjährigen Tradition heraus entstanden und ist somit durchsetzt von alten Strukturen. Wer den Flüchtlingsrat RLP kennt, weiß, dass wir ein mehrheitlich weißes Team ohne Migrations- und Fluchterfahrungen sind. (Der Begriff weiß ist nicht ganz klar? Dann schaut doch mal hier rein: Schwarz, weiß, People of Color, BPoC, PoC – Grundbegriffe erklärt)
Bei unserer Klausurtagung im Winter 2021 wurde beschlossen, im kommenden Jahr Geld für die externe Moderation eines rassismuskritischen Öffnungsprozesses zu beantragen. Eine direkte Finanzierung gelang uns nicht, so dauerte es lange, bis die Finanzierung stand. Nicht zuletzt auch ein großes Dankeschön an all die Menschen, die durch ihre Mitgliedschaft im oder Spenden an den Flüchtlingsrat, sowie an die UNO Flüchtlingshilfe die durch ihre Förderung dazu beigetragen haben, dass Folgendes umgesetzt werden konnte:
Im Sommer 2022 trafen wir uns mit der Koordinierungs-Gruppe, dem Vorstand und der Geschäftsstelle. Uns ging es dabei darum, rassismuskritische Perspektiven auf unsere eigenen Strukturen zu entwickeln, da wir uns einig sind, den Status Quo nicht beibehalten zu wollen.
Ein rassismuskritischer Blick erkennt Rassismus als gesamtgesellschaftliches (Macht-)Verhältnis, welches sich in Institutionen, Strukturen, Handlungen Einzelner wie ganzer Gruppen, individuell und kollektiv wiederfinden lässt. Dies gilt es zu problematisieren und zu verändern – beginnend bei uns, in unserem Verein und unserer Arbeit.
Im Sinne einer rassismuskritischen Organisationsentwicklung, einer Professionalisierung unserer Arbeit, haben wir im November in einem zweitägigen Workshop mit Mitarbeiterinnen des projekt.kollektiv von IDA-NRW intensiv unsere Strukturen betrachtet. Die zwei sehr intensiven Tage wirken noch nach, haben eine Menge bei uns bewegt und angeregt. Auf folgende Fragen beginnen wir nun Antworten zu finden und konkrete Konsequenzen herauszuarbeiten.
Inwiefern betrifft mich Rassismus, Flucht und von welcher Perspektive schaue ich darauf?
Wen erreichen wir mit unseren Inhalten?
Welchen Arbeitsfeldern, Perspektiven, Interessen räumen wir wie viel Raum ein und wen repräsentieren wir?
Wie groß ist der Anteil des direkten Kontakts mit Geflüchteten/ Menschen mit Fluchtgeschichte in unserer Arbeit?
Öffentlichkeit: Wir reden viel über „die Öffentlichkeit“, „Öffentlichkeitsarbeit“… aber wen meinen wir genau mit „der Öffentlichkeit“?
Welche Inhalte (re)produzieren wir und auf welches Wissen greifen wir dabei zurück?
Unterscheiden sich die Perspektiven innerhalb des Teams?
Gibt es einen Raum – und wenn ja, für wen ist dieser offen – in welchem Themen von außen eingebracht werden können?
Gibt es Raum um sich einzubringen und sich selbst zu äußern? Wer? Was?
Geld, Tradition und Zeit sind Faktoren, die die aktuelle Gestaltung des Flüchtlingsrates sehr prägen. Welche Ideen schlagen wir aus, weil wir glauben, sie nicht umsetzen zu können? Welche Begründungen nutzen wir zur Rechtfertigung? Welche Optionen und Handlungsspielräume haben wir, um unseren Verein trotz der Einschränkungen durch die genannten Faktoren rassismuskritisch zu öffnen?
Warum schreiben wir das?
Wir waren uns zunächst nicht sicher, ob wir diesen Prozess nach außen hin sichtbar machen wollen.
Wir tun es jetzt doch, aus folgenden zwei Gründen:
1. Wir wollen zeigen, dass wir angefangen haben. Wir wollen zeigen, dass wir uns bewusst sind, dass es so wie es ist nicht bleiben kann. Wir wissen, dass es noch ein langer und anstrengender Prozess sein wird. Wir sind bereit, weiter zu machen.
2. Wir hoffen, vielleicht der ein oder anderen Gruppe Mut zu machen, sich ebenfalls kritisch selbst zu betrachten. Und wir gehen gerne mit euch in den Austausch darüber. Habt ihr Anregungen? Fragen? Kritik? Dann meldet euch bei uns.
Das projekt.kollektiv des IDA-NRW hat zum Ziel, rassismuskritische Perspektiven für die Jugendarbeit im Kontext Migration & Flucht (weiter-)zuentwickeln und Impulse zu setzen, um Rassismuskritik und Empowerment-Ansätze landesweit in den Strukturen der Jugendarbeit zu verankern. Gemeinsam mit rassismuskritisch orientierten Einrichtungen und Multiplikator*innen der Jugendarbeit, mit selbstorganisierten Initiativen und mit jungen geflüchteten Menschen arbeitet das Projekt am Ausbau der dafür notwendigen Vernetzungs- und Qualifizierungsstrukturen in Nordrhein-Westfalen.
Der rassismuskritische Öffnungsprozess im Jahr 2022 wurde mit Projektmitteln von der UNO Flüchtlingshilfe bezahlt.