Verwahrt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?

Zeitungsartikel der Rhein-Zeitung vom Donnerstag, den 23. März 2017

Asyl Westbalkan-Flüchtlinge müssen oft monatelang in Erstaufnahme-Einrichtungen ausharren – Die Folgen sind fatal

Von unserem Redakteur

Dietmar Telser

 

Ingelheim. Es ist ein Leben aufengstem Raum, die Kinder könnenkeine reguläre Schule besuchen, der Alltag ist vom Warten geprägt: Das Leben für Flüchtlinge in den Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes wird immer prekärer. Das kritisieren Flüchtlingshelfer aus Rheinland-Pfalz. So müssen Asylbewerber derzeit zum Teil mehr als sechs Monate in den Unterkünften ausharren. Dabei sind die Heime eigentlich nur für die ersten Wochen nach ihrer Ankunft gedacht. „Die langen Aufenthaltszeiten sind menschenrechtlich hoch problematisch“, kritisiert Uli Sextro, Referent für Flucht und Migration der Diakonischen Werke in Rheinland-Pfalz. Der Grund dafür ist politisch gewollt: Asylbewerber aus sicheren Herkunftssaaten – etwa Serbien, dem Kosovo und Montenegro – werden seit dem Jahr 2015 nicht mehr auf Kommunen verteilt. Damit sollten unter anderem die Kommunen unterstützt werden. Die Behörden gehen davon aus, dass Asylanträge der Westbalkan- Flüchtlinge abgelehnt werden und sie das Land in nächster Zeit verlassen. Bis dahin fallen sie den Gemeinden nicht zur Last – und bleiben in den Massenunterkünften. Das Asylgesetz sieht zwar vor, dass die Pflicht, in den Erstaufnahme- Einrichtungen zu wohnen, dann entfällt, wenn eine Abschiebung „kurzfristig“ nicht möglich ist, doch über die Interpretation der Bezeichnung „kurzfristig“ gibt es offenbar unterschiedliche Ansichten. Vor allem Abschiebehindernisse führen nun offenbar dazu, dass Flüchtlinge ungewöhnlich lang in den Einrichtungen leben müssen. Diese Situation ist nach Ansicht der Flüchtlingshelfer gleich aus mehreren Gründen problematisch. Unterkünfte wie in Ingelheim seien nicht für längere Aufenthalte konzipiert. „In den Unterkünften werden die Menschen mit Blick auf die medizinische Hilfestellung und auf schulische Belange nicht ausreichend versorgt“, sagt Marie Weber, Asylreferentin von Amnesty International für den Bezirk Mainz-Wiesbaden. Gerade für chronisch Erkrankte sei die gesundheitliche Versorgung problematisch, bestätigt auch Sextro. Vorgesehen ist meist nur eine Notversorgung. Viele Kinder könnten zudem eigentlich eineSchule besuchen – angeboten werden aber nur freiwillige Deutschkurse. Ein Aussetzen der Schulpflicht bei Aufenthalten von sechs bis acht Wochen sieht Sextro noch als unproblematisch an, doch bei einem Aufenthalt von mehreren Monaten bis zu fast einem Jahr werde dies zum Problem. „Es ist nicht gut, wenn Menschen, die beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden, bis zum Sankt-Nimmerleins- Tag in einer solchen Einrichtung verbleiben müssen“, sagt Sextro. „Ich glaube, dass man sich für diese Fälle etwas überlegen muss.“ Mit ihrer Kritik widersprechen die Flüchtlingshelfer auch einer Stellungnahme der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion des Landes (ADD), die zuvor Missstände in den Unterkünften abgestritten und auf einen durchschnittlichen Aufenthalt von drei Monaten verwiesen hatte. Anlass waren Berichte des Kinderhilfswerks Unicef und der Berliner Charité, die die Situation für Kinder und Frauen in deutschen Einrichtungen kritisierten. Demnach gaben 22 Prozent der befragten Asylsuchenden an, dass sie mehr als sechs Monate lang in den Massenunterkünften untergebracht wurden. Laut der Studie fehlen vielfach Aufenthaltsräume sowie strukturierte Lern- und Freizeitangebote. „Der Alltag vieler geflüchteter Mädchen und Jungen ist geprägt von Tristesse und Warten“, schreibt Unicef. Das Kinderhilfswerk forderte unter anderem, dass in den Einrichtungen Schutzkonzepte erarbeitet werden. Zudem regte Unicef an, in Unterkünften ein Beschwerdemanagement zu etablieren. Zumindest im Kleinen könnten aber bereits kurzfristig Verbesserungen geschaffen werden. Sextro plädiert dafür, dass mehr Angebote geschaffen werden, damit die Bewohner sich dort sinnvoll beschäftigen können. Dafür sei es aber auch notwendig, dass das Land für die Betreuung und Beratung genügend Personal vorhält.

 

 

 

 

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