Weiterhin Abschiebungen nach Afghanistan geplant

Die internationalen Truppen verlassen fluchtartig Afghanistan

Bundesregierung weigert sich, Ortskräfte der Bundeswehr auszufliegen

Stattdessen plant sie die nächste Sammelabschiebung nach Kabul

Während der Truppenabzug aus Afghanistan an Geschwindigkeit zunimmt und die Bundeswehr bis zum 30. Juni 2021 das Land endgültig verlassen will, verweigert die Bundesregierung afghanischen Ortskräften die Unterstützung bei der Ausreise nach Deutschland. Stattdessen plant sie den nächsten Abschiebungsflug nach Kabul für Anfang Juli 2021. Das ist ein menschenrechtlicher Skandal“, erklären die Diakonie in RLP, der Flüchtlingsrat RLP e.V. und der Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP.

In einer Pressemitteilung vom 18. Juni 2021 erklärte die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Katharina Binz: „Der Bund steht in der Pflicht, mit Blick auf die afghanischen Ortskräfte eine unbürokratische und kurzfristige Aufnahme sicherzustellen.“ Zurecht nannte sie die „zügige Aufnahme“ eine „Frage des Anstandes und der Glaubwürdigkeit für die Bundesrepublik“ und „des Überlebens“ für die betroffenen Ortskräfte und ihre Familien“. Für das Land versicherte sie die Bereitschaft, „hier seinen Teil dazu beizutragen“. In einer Twitter-Nachricht ergänzte sie: „Rheinland-Pfalz wäre auch bereit, noch mehr zu tun.“

Diese begrüßenswerte Bereitschaft des Landes droht nunmehr allerdings ins Leere zu laufen. Aktuellen Medienberichten zufolge hat die Bundesregierung nach massivem öffentlichen Druck zwar den Kreis der Ortskräfte und Familienangehörigen, die in Deutschland aufgenommen werden sollen, um Personen erweitert, deren Mitarbeit bei der Bundeswehr länger als zwei Jahre zurückliegt. Zugleich aber weigert sie sich, die Betroffenen bei ihrer Ausreise nach Deutschland zu unterstützen. Weder ist geplant, sie in einer konzertierten Aktion zu evakuieren, noch sollen sie Unterstützung bei der Beschaffung und Bezahlung der Flugtickets nach Deutschland bekommen.

Ehemaligen afghanischen Mitarbeitenden der Bundeswehr lediglich ein Visum in die Hand zu drücken und ihren dann, während man selbst das Land fluchtartig verlässt, nichts als ein ‚Hilf Dir selbst, wir sehen uns in Deutschland‘ hinterherzurufen, ist schäbig und das Gegenteil von Dankbarkeit, Verantwortungsbewusstsein und unbürokratischer Hilfe“, sagt Torsten Jäger, der Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migrationspolitik in RLP.

Dabei wäre Eile geboten, denn schon jetzt besetzen Kämpfer der Taliban jene Gebiete, die von den internationalen Truppen aufgegeben werden. Die staatlichen Streitkräfte können oder wollen dem nichts entgegensetzen: „Die Taliban vergessen nicht und für viele der ehemaligen Ortskräfte und ihre Familie wäre es tödlich, wenn sie noch länger in Afghanistan zurückbleiben müssten“, erklärt Albrecht Bähr, Sprecher der Diakonie Rheinland-Pfalz. „Ihre Evakuierung ist ein Gebot der Menschlichkeit und müsste längst schon begonnen haben!

Doch statt gefährdete Menschen auszufliegen, bringt die Bundeswehr lieber zehntausende Dosen nicht getrunkenen Bieres und andere alkoholische Getränke aus dem Land. Und noch mehr Skandal: Statt gefährdete Menschen auszufliegen, plant die Bundesregierung für Anfang Juli, Menschen in einer erneuten Nacht- und Nebelaktion nach Kabul abzuschieben und sie so konkreter Gefahr für Leib und Leben auszusetzen.

Offenbar sollen so schnell wie möglich noch so viele Menschen wie möglich abgeschoben werden, bevor Afghanistan nach dem Abzug der Truppen ganz an die Taliban fällt und an einem Abschiebestopp kein Weg mehr vorbeiführt“, kritisiert Pierrette Onangolo, die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats RLP. „Wenn Flugzeuge mit Menschen an Bord nach Afghanistan fliegen und Flugzeuge mit Bier und Wein an Bord zurück, dann wird deutlich: Die angebliche Dankbarkeit der Bundesregierung für die Unterstützung der afghanischen Ortskräfte und das angebliche Verantwortungsbewusstsein für die menschenrechtlichen Belange ausreisepflichtiger afghanischer Staatsangehöriger sind nichts als Lippenbekenntnisse.

Auf ihrer Frühjahrskonferenz im Juni 2021 haben die Innenminister von Bund und Ländern das Bundesinnenministerium darum gebeten, „eine Prognose zur Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan sowie der daraus gegebenenfalls resultierenden weiteren Fluchtbewegungen und – auch im Lichte der aktuellen Rechtsprechung – Auswirkungen auf die (noch) verbliebenen Rückführungsmöglichkeiten vorzulegen.

Wenn diese Bitte um Prüfauftrag der aktuellen Entwicklungen ernst zu nehmen ist, dann müssen die afghanischen Ortskräfte sofort evakuiert werden und dürfen Abschiebungen bis zur Vorlage der Prüfergebnisse nicht durchgeführt werden“, fordern die drei Organisationen von den im Bund und in den Ländern Verantwortlichen.

Für die rheinland-pfälzische Landesregierung muss es bedeuten, weiter auf die schnelle und unbürokratische Evakuierung und Aufnahme der afghanischen Ortskräfte zu drängen und sich an Abschiebungen nach Afghanistan nicht zu beteiligen. Stattdessen sollte sie mit sofortiger Wirkung einen dreimonatigen Abschiebungsstopp nach Afghanistan erlassen. § 60a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes gibt ihr die Möglichkeit, das in eigener Verantwortung zu tun!

gez.

  • Torsten Jäger, Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP
  • Pierrette Onangolo, AK Asyl – Flüchtlingsrat RLP
  • Pfarrer Albrecht Bähr, Diakonie in RLP