Interview mit Rechtsanwalt Wohnig über Abschiebungen in Rheinland-Pfalz
In diesem Interview sprechen wir mit dem Wiesbadener Rechtsanwalt Christopher Wohnig. Er ist auf das Asyl-, Aufenthalts- und Ausländerrecht spezialisiert und hat in einem gemeinsamen Fall die Abschiebung eines Mandanten in letzter Minute juristisch gestoppt. Anlass für das Gespräch war das beidseitige Gefühl, dass diese Geschichte symptomatisch für das Abschiebegeschehen in Rheinland-Pfalz steht.
Herr Wohnig, uns hat zuletzt das Mandat von Herrn A. in unserer Arbeit zusammengeführt. Können Sie uns den Fall bitte kurz skizzieren?
Ja, natürlich.
Mein Mandant ist türkischer Staatsbürger und hat beim BAMF einen Asylfolgeantrag gestellt. Zwei Tage vor der Anhörung wurde er bei der Ausländerbehörde Trier-Saarburg verhaftet, um am gleichen Tag in die Türkei abgeschoben zu werden. Seine schwangere Frau hat noch vor Ort versucht der Ausländerbehörde zu erklären, dass ihr Mann sich im laufenden Asylfolgeverfahren befindet. Man hat sie aber nicht zu Wort kommen lassen. Ihr Mann wurde dann zunächst in Polizeigewahrsam in Trier genommen und musste dort nach seiner Aussage mehrere Stunden in Unterwäsche bekleidet in einer Zelle abwarten, bis die Landespolizei ihn dann nach Frankfurt zum Flughafen gebracht hat.
Für den 19. Februar war ein Termin für die Anhörung beim Bamf angesetzt, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Folgeantrag zulässig ist.
Am 17. Februar, erschien Herr A. morgens zu einem Termin bei der Ausländerbehörde Trier-Saarburg zur Verlängerung seiner Duldung.
Er erschien dort gemeinsam mit seiner schwangeren Frau.
Mein Mandant teilte mir mir, dass ihm dort gesagt worden sei, dass er jetzt in die Türkei abgeschoben wird. Er erklärte, dass er im Asylverfahren ist, ein Interview beim Bamf hat.
Nichtsdestotrotz sei er von 8 Polizisten abgeholt, in einen Raum gebracht worden, in dem er nach seinen Angaben, sich habe entkleiden sollen. Er sei dort mehrere Stunden geblieben, bevor er zum Frankfurter Flughafen gebracht wurde.
Bei der Ausländerbehörde war niemand mehr erreichbar.
Deshalb habe ich sofort einen Eilantrag beim VG Trier gestellt. In der Begründung haben wir das Folgeverfahren angegeben. Die Ehe wurde in einem Nebensatz auch erwähnt, die Schwangerschaft war der Ausländerbehörde wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Im Eilantrag habe ich auch angegeben, dass man nach §71 AsylG vor einer Abschiebung geschützt ist, wenn der Folgeantrag für zulässig erklärt wurde. Die Rechtslage ist da eigentlich eindeutig. Deshalb wurde dem Eilantrag stattgegeben, sodass mein Mandant schließlich frei gelassen werden musste. Den Rücktransport musste er dann selbst organisieren. Die Polizei hat ihn am Flughafen Frankfurt stehen lassen.
In solchen Fällen ist es eine reine Glückssache, ob man seinen Anwalt erreicht, weil es dann schnell gehen muss. Für Menschen ohne anwaltliche Vertretung wird es noch schwieriger. Denn wenn man den Fall nicht kennt, hat man in der Kürze der Zeit keine Chance sich da reinzuarbeiten.
Sie haben gesagt, sie haben den Eilantrag gewonnen? Wie hat das Gericht seine Eilentscheidung begründet?
Wenn das Bundesamt einen Asylfolgeantrag annimmt und ein weiteres Verfahren einleitet, darf eine Abschiebung vor Abschluss dieses Verfahrens nicht erfolgen. Das heißt also, man ist vor Abschiebungen geschützt. Diese Regelung ist in § 71 des Asylgesetzes (AsylG) verankert. Ich habe in der Begründung des Eilantrages auf § 71 des Asylgesetzes verwiesen und das Verwaltungsgericht Trier ist dem gefolgt.
Erklärung Flüchtlingsrat:
Asylfolgeantrag:
Ein Asylfolgeantrag wird gestellt, wenn neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die eine positive Entscheidung im Asylverfahren wahrscheinlich machen.
Annahme des Folgeantrags:
Wenn das Bundesamt einen Folgeantrag annimmt, bedeutet dies, dass es das Vorliegen neuer, relevanter Informationen anerkennt und ein weiteres Verfahren einleitet, um über den Asylstatus des Antragstellers zu entscheiden.
Unzulässigkeit der Abschiebung:
Während dieses weiteren Verfahrens ist eine Abschiebung unzulässig, da eine Entscheidung über den Asylstatus noch aussteht und der Antragsteller potenziell schutzbedürftig ist.
Rechtliche Grundlage:
§ 71 AsylG regelt die Behandlung von Folgeanträgen und stellt klar, dass bei Annahme eines Folgeantrags ein weiteres Verfahren durchgeführt wird, in dem die neuen Tatsachen und Erkenntnisse geprüft werden
Welche Rolle spielt in solchen Fällen der Schutz der Familieneinheit?
In diesem Fall war es der Ausländerbehörde wohl nicht bekannt, dass der Mandant werdender Vater ist. Wir haben das im Rahmen des Eilverfahrens am Rande erwähnt, aber die Hauptargumentation lag auf dem laufenden Folgeverfahren.
Grundsätzlich jedoch muss sowohl das Recht des Vaters auf das Zusammenleben mit seinem Kind, als auch das Recht des Kindes auf das Zusammenleben mit beiden Eltern mit abgewogen werden, wenn die Ausländerbehörde entscheidet, ob sie abschieben will. Leider wird hier häufig mit Tricks gearbeitet.
Was meinen Sie mit Tricks?
Aus meiner Praxiserfahrung heraus kommt es häufig vor, dass Behörden, wenn sie mitbekommen, dass jemand geheiratet hat oder ein Kind erwartet, die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme bis zum Maximum ausreizen und Anträge auf Umverteilung zum Partner/zur Partnerin nicht bearbeiten, um dann zu argumentieren, dass der grundrechtlich festgeschriebene Schutz von Ehe und Familie nicht zutrifft, da keine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe.
Gibt es aus Ihrer Sicht hier einen Skandal? Hat sich jemand falsch verhalten?
Im laufenden Folgeverfahren abzuschieben geht gar nicht. Die Ausländerbehörde hat sich aus meiner Sicht und offenbar ja auch aus Sicht des Gerichts rechtswidrig verhalten.
Das heißt, wären Sie nicht im Büro gewesen wäre der Mann abgeschoben worden?
Davon ist leider auszugehen.
In Rheinland-Pfalz wurden überproportional viele Menschen abgeschoben. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Ich denke das liegt daran, dass anders als in Hessen beispielsweise die Ausländerbehörden nicht zentral sind und die Rückkehrentscheidung bei der jeweiligen Behörde getroffen wird. Es gab immer schon Ausländerbehörden, die in Rheinland-Pfalz, selbst im bundesweiten Vergleich sehr restriktiv gearbeitet haben. Dort liegt der Fokus auf der Aufenthaltsbeendigung, nicht auf einer Aufenthaltsverfestigung. So ist es ja aber auch politisch gewollt. Ich gehe davon aus, dass der politische Druck, auf die Ausländerbehörden, Zahlen zu liefern, hoch ist.
Herr Wohnig, wie bewerten Sie den deutlichen Anstieg der Abschiebungen in Deutschland im ersten Halbjahr 2024, insbesondere in Rheinland-Pfalz?
Ich sehe das sehr kritisch. Ich habe in letzter Zeit viele Personen vertreten, die durchweg gute Integrationsleistungen vorweisen konnten und die trotzdem abgeschoben werden sollten. Häufig trifft es Personen, die berufstätig sind, sich auf Deutsch verständigen können, die schon einige Jahre hier leben, denen aber noch ein paar Monate zur Erfüllung der nötigen Voraufenthaltszeiten oder eine formale Bescheinigung fehlen.
Außerdem sind oft Menschen betroffen, die einen Ausbildungsvertrag haben und die Ausländerbehörde unbedingt eine Abschiebung durchziehen will. Oft mit dem Ergebnis, dass sich das Verfahren so lange zieht, dass die Ausbildung im gleichen Jahr nicht mehr angefangen werden kann.
Warum wird in Rheinland-Pfalz vergleichsweise seltener der „Chancenaufenthalt“ nach § 104c AufenthG gewährt?
Auch das lässt sich mit restriktiv eingestellten Ausländerbehörden erklären.
Könnten die Landesbehörden mehr tun, um Aufenthaltsperspektiven für gut integrierte Menschen zu schaffen?
Sie könnten natürlich mit einem Erlass die Ausländerbehörden anhalten genauer zu prüfen, welche Bleiberechtsvoraussetzungen vorliegen, bevor eine Abschiebung geplant wird. Sie könnten auch darauf hinweisen, dass im Rahmen der Ermessensausübung gerade die zeitlichen Voraussetzungen für Bleiberechte nach §25 a und §25 b AufenthG flexibler gehandhabt werden sollen. Das würde auch für deutlich weniger Unmut bei Arbeitgeber*innen sorgen, die hier in der Kanzlei regelmäßig anrufen und um Unterstützung für ihre Angestellten bitten, wenn diese von Abschiebung bedroht sind.
Wie bewerten Sie die rechtliche Praxis der Abschiebungen aus Deutschland im europäischen Vergleich?
Wer welches Ergebnis im Asylverfahren bekommt und wer dann abgeschoben wird, gleicht einer Lotterie.
Häufig wird argumentiert, dass Abschiebungen notwendig seien, um das Asylsystem zu entlasten. Halten Sie diese Argumentation für stichhaltig?
Gegenfrage: halten Sie das Asylsystem in RLP für überlastet?
Ich nicht!
Vielen Dank für das offene Gespräch Herr Wohnig!
Hinweis: Das Interview wurde im März 2025 geführt.