„Seit vorgestern gibt es einen Abschiebungsstopp nach Afghanistan. Das ist gut so. Er kam aber viel zu spät und wurde von den politisch Verantwortlichen zu lange verhindert“, resümiert Torsten Jäger, Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz. „Ausreisepflichtige Personen in Deutschland haben dadurch ein Stück weit Sicherheit bekommen, aber viele Menschen in Afghanistan sind durch den schnellen Vormarsch der Taliban in akuter Lebensgefahr“, so Jäger weiter.
Der Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz, der Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz e.V. und die Diakonie in Rheinland-Pfalz fordern deswegen insbesondere Bundesinnenminister Seehofer und Außenminister Maas zu schnellerem Handeln auf.
„Nunmehr gilt es, insbesondere jenen Menschen rasch zu helfen, für die Deutschland eine besondere Verantwortung trägt. Hier sind vor allem die Ortskräfte zu nennen, die für die Bundeswehr, aber auch für andere deutsche Ministerien oder Hilfsorganisationen gearbeitet haben und die vor der Rache der Taliban geschützt werden müssen. Weiterhin dürfen wir auch jene Familienangehörigen nicht im Stich lassen, die einen Anspruch auf Familiennachzug zu Schutzberechtigten nach Deutschland haben und deren Anträge bereits vor Jahren gestellt wurden“, fordert Albrecht Bähr, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Diakonie in Rheinland-Pfalz.
Die Betroffenen warten wegen des großen Bürokratismus, zuletzt auch wegen der Beschränkungen der Pandemie, zum Teil schon über Jahre hinweg auf die ihnen zustehenden Einreiseerlaubnis nach Deutschland.
Das Familiennachzugsverfahren ist äußerst komplex. Zusätzlich wurde das Prozedere der Beantragung von Visa nach der Schließung der deutschen Botschaft in Kabul infolge eines schweren Terroranschlages im Mai 2017 erschwert. Aktuell müssen afghanische Antragsteller*innen nach Islamabad (Pakistan) und Neu Delih (Indien) reisen, um dort ihre Visaanträge persönlich zu stellen. Was schon in der Vergangenheit kompliziert war, ist aktuell so gut wie unmöglich.
Dazu Pierrette Onangolo, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates RLP e.V.: „Die Landgrenzen zu Pakistan sind geschlossen. Ein Flug nach Neu Delhi ist so gut wie nicht zu erreichen. Schaut man sich eine Karte des Landes an, erkennt man, dass ein Großteil bereits in fester Hand der Taliban ist. Damit kontrollieren sich auch einen Großteil der Straßen und Reisewege. Und sie rücken immer weiter vor. Ich fordere die Bundesregierung auf, hier endlich zu handeln!“
„Wenn die Bundesregierung hier ein Gesamtversagen verhindern will, braucht es Lösungen – jetzt!“ so die Vertreter*innen der drei landesweiten Organisationen zusammenfassend.
Lösungsmöglichkeiten wären z.B.:
- Die noch verbliebenen Ortskräfte müssen mit Charterflugzeugen zusammen mit ihren Familien ausgeflogen werden. Die Prüfung der Berechtigung sollte unkompliziert sein.
- Personen mit Anspruch auf Familiennachzug, die auf die Erteilung des entsprechenden Visums warten, sollten auch mit ausgeflogen werden können.
- Die bisherige Erteilungspraxis für Visa zum Familiennachzug muss vereinfacht werden! Es ist vollkommen illusorisch, dass in Afghanistan verbliebene Familienangehörige eine Chance haben, die Botschaften in Pakistan oder Indien sicher zu erreichen. Hier müssen Lösungen gefunden werden die der Sicherheitslage angemessen sind, wie z.B. die digitale Stellung der Visumsanträge, die es den Familienangehörigen ermöglichen, schnell und ohne ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen, nach Deutschland nachzureisen.
- Eine Visaerteilung sollte auch nach der Landung in Deutschland erfolgen können.
Die drei Organisationen begrüßen ausdrücklich das bisherige Engagement der rheinland-pfälzischen Integrationsministerin Katharina Binz für eine schnelle und unkomplizierte Aufnahme afghanischer Ortskräfte. Sie fordern die Ministerin auf, nicht nachzulassen bis eine praktikable Lösung gefunden ist sowie sich für Vereinfachungen des Familiennachzugs einzusetzen, die den Realitäten in Afghanistan gerecht werden.